Nov
5

2012

Nomadenleben


Eigentlich hatten wir Leh ja nur für vier Tage  verlassen um auf den Stok Kangri zu kraxeln, doch als wir wieder zurückkommen sind auf einmal alle Touristen weg und mit ihnen die Apricot Crumble Kuchen – was für eine Tragik!

Auch wir tappen in einen der noch offenen Tourishops hinein. Als der Besitzer jedoch merkt, dass wir wohl nichts kaufen, bittet er uns die Postadresse seiner Schweizer Freundin ausfindig zu machen. Bevor er aber aus dem Laden düst um zu Hause ihre Telefonnummer zu holen, dreht er sich nochmals kurz um und instruierter uns: “If somebody comes into the shop, sell something!”. Wenig später ist er mit einem Mäppchen zurück, das fein säuberlich mit “Switzerland” angeschrieben ist und wir tun ihm den Gefallen, obwohl wir stark vermuten, dass er noch viele andere Freundinnen hat, deren Telefonnummern in vielen anderen fein säuberlich angeschriebenen Mäppchen stehen.


Leh-Panorama auf das Stok Massiv

Die meisten Shops und Restaurants sind unterdessen aber geschlossen und es kehrt Ruhe ein in der Stadt. Wer hier bleibt freut sich auf die ruhige Jahreszeit und hat nach dem turbulenten Sommer endlich Zeit sich um Garten und Felder zu kümmern. Viele aber sind moderne Nomaden und bereiten sich auf den nächsten Umzug vor. Während früher die Bedürfnisse von Yak- und Geissen-Herden den Lebensrythmus vieler Menschen bestimmt haben, so sind es heute die Toristenmassen. Ladakh – Nepal – Goa ist die populärste Runde – immer schön mit dem Touristenstrom.

Die meisten sind gute Köche oder fröhliche Lebenskünstler oder gleich beides zugleich. Einer der unzähligen Nepalesischen Gastarbeiter erzählt uns jedenfalls voller Stolz von seinem Steamer und dem Scooter, den er in Goa besitzt und wie er damit jeweils morgens zum Markt fährt, wie die Leute dann sagen “Ach schau, Nepali Momos!” und wieviele er davon verkaufen muss, bis er seine Rupees für den Tag zuammen hat und dann glücklich den Rest des Tages das schöne Nichtstun geniesst. Ausserdem erzählt er uns auch strahlend vom faszinerenden kleinen Finanzwunder, das er zwar nicht komplett durchschaut aber dennoch seeehr schätzt: Wenn er dann nämlich nach Nepal reist, tauscht er seine Indischen Rupees gegen Nepalesische ein und dann werden 1‘000 Rupees auf wundersame Art und Weise auf einmal 1‘600. Ein ähnliches Finanzwunder gibt es in Goa scheinbar mit dem Hummer. Den kann man auf dem Markt für wenig Geld erstehen und dann im Restaurant für ein vielfaches an Touristen weiterverkaufen. Das einzig Komplizierte dabei scheint in seinen Augen die Anordnung der Salate rund um die Krabbe herum zu sein. Vielleicht ist der Deal aber auch für die Touristen gar nicht mal so schlecht, den seine Kochkünste sind auch im hummerlosen Ladakh exzellent – zumindest bevor die Chefin verreist und das Chang-Gelage beginnt (einheimisches Bier), zu dem wir als Hotelgäste natürlich ebenfalls herzlich eingeladen werden.

Leider geben uns die Temperaturen nun in aller Deutlichkeit zu verstehen, dass die Sache mit dem Winter kein Gerücht ist. Wir lassen deshalb sämtliche weiteren Ausflugsideen sausen und machen uns auf die Flucht Richtung Süden, allerdings nicht ohne einen Schwenker in die Heimat der “altmodischen” Nomaden: Die Changtang-Hochebene.

Auf dem Weg schauen wir uns auch noch die einen oder anderen Königspaläste und Kloster an. In Thiksey schaffen wir es sogar früh genug aus dem Bett um das Morgengebet (Puja) mitzuerleben und können uns ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn sich die kleinen Novizen um die Muschelhörner streiten oder durch die Gänge düsen um Buttertee zu verteilen. Die Konzentration scheint ähnlich hoch zu sein wie bei uns früher in der Schulmesse.




Was auf der Karte nach gemütlichem auf-Asphalt-dem-Indus-entlang-Pedalen ausgesehen hat, entpuppt sich schliesslich als echten Härtetest, denn das kleine Strässchen klettert immer mal wieder weit hinauf, um sich dann gleich wieder bis zum sprudelnden Fluss hinunter zu stürzen. Ausserdem sind unsere Räder schwer mit Food, da wir voraussichtlich erst in zwei Wochen wieder einkaufen können und auch der Gegenwind ist nicht gerade förderlich. Auf jeden Fall bin ich dann irgendwann fix und fertig und Reto muss mich mit viel Schokolade und Keksen dopen um mich wieder auf die Räder zu kriegen.


Dafür werden wir mit einer Hochebene belohnt, die unseren Lieblingslandschaften des Altiplano zum verwechseln ähnlich sieht. Sie wird von blauen Seen und sanften Hügeln geprägt, die allerdings gut und gerne 6‘000 oder 7‘000 m hoch sein können. Heisse Quellen und so etwas wie Altiplanogras gibt es hier auch und anstelle von Vicunas galoppieren grosse Wildeselherden durch die Landschaft.


Wieder sind es die Temperaturen, die uns weiter drängen. Die zwei Stunden nach Sonnenuntergang, wenn wir mitsamt sämtlichen verfügbaren Kleidern im Schlafsack liegen, sind unterdessen nämlich oft die einzige Zeit in der sich sämtliche Körperteile in Wohlfühltemperatur befinden und selbst dann ist es unangenehm hin und wieder die Hand aus dem Schlafsack zu nehmen um das Buch umzublättern. Alles was man nachts nicht in den Schlafsack hinein rettet friert unweigerlich ein und auch durch den Tag taut der Bidoninhalt manchmal nur schluckweise wieder auf. Selbst kleine Dinge wie Händewaschen oder Geschirrspühlen sind hier echt kein Spass mehr. Dies ist eigentlich ein guter Grund kräftig in die Pedale zu treten, aber hier oben, zwischen 4‘500 umd 5‘000 m, ist meine Performance eher etwas dürftig. Da rütteln diesmal auch Reto‘s Versuche mich mit Keksen und Nudelsuppe vollzustopfen nicht viel dran.


Brrrrr… selbst am Mittag haben wir noch ein einziges grosses Eiswüerfelchen im Bidon!

Auf der Manali-Leh-Route rollen wir sc!hliesslich über eine winddurchtoste Ebene und durch einen spektakulären Canyon, dessen eingefrorenen Wasserfälle so gar nicht mit der Wüstenlandschaft zusammenpassen, um schliesslich kurz vor dem 5‘059m hohen Lachung Pass nochmals eine kalte Nacht zu verbringen. Insgeheim hoffe ich, dass es die Letzte ist, aber es werden noch viele folgen.

In Sarchu sind wir zunächst etwas enttäuscht, da der Ort nur aus ein paar Wellblechhütten besteht, denn  wir hatten uns auf eine Unterkunft mit zumindest ein paar Lehmwänden gefreut. Aus der Aufregung unserer superlieben Gastgeberin schliessen wir jedoch, dass nicht allzuviele Touristen hier übernachten. Und als wir realisieren, dass die Hütte mit sehr viel Liebe zum Detail aus lauter Dingen zusammengebaut wurde, die bei uns längst im Müll gelandet wären, kriegen wir bereits wieder ein schlechtes Gewissen wegen dem vorherigen “Nasenrümpfen”.

Als dann beim Nachtessen die Wände wackeln erklärt uns die Gastgeberin, wir sollen uns keine Sorgen machen, dies sei nur eine Ratte, doch dann kommt ihr Mann zur Tür hinein und wir müssen alle sehr lachen. Die Englischkenntnisse der beiden beschränken sich auf ein paar Worte und wir verbringen den Abend deshalb damit auf der Karte kleine Zanskari-Orte in irgendwelchen Nebentälern zu finden, in denen ihre Verwanten wohnen. Wenn wir einen finden, freuen sie sich und erzählen uns wieviele Söhne und Töchter die entsprechende Person hat.

Als wir dann am nächsten Morgen nach diversesten Umarmungen endlich auf den Velos sitzen, radeln wir direkt in den Winter hinein. Je weiter wir den Baralacha La Pass hinauf pedalen, desto mehr Schnee liegt links und rechts von der Strasse. Auf der Südseite des Himalaya scheint es eben tatsächlich viel mehr Niederschlag zu geben. Das Gute an diesem Pass ist, dass wir nun sogut wie ganz sicher sind, dass wir den Winter nicht in einem dieser durch Schnee abgeschnittenen Tälern verbringen werden. Das Schlechte ist, dass wir als velofahrerförmige Eiswürfelchen unten ankommen.

In einem kleinen Daba lassen wir uns dann mit Nudelsuppe wieder auftauen. Ein paar Indische Stassenarbeiter tun das gleiche aber mit härteren Flüssigkeiten. In der gleichen Region, in der wir mit unserer Top-Ausrüstung gerade so über die Runden kommen, wohnen sie unter einfachen Kunsstoffblachen. Weit weg von ihren Familien schlafen sie mit ein paar Wolldecken und einfachen Matten auf einem Boden, der sich bei Niederschlag sofort zu Matsch verwandelt. Und das für einen Lohn von gerade mal 30 oder 40 Franken pro Monat! Dass sie trotz diesen Umständen fast immer ein fröhliches “Jule” für zwei Velotouristen übrig haben finde ich echt beeindruckend!

Liebe Grüsse aus einer Stadt, in der die Kühe auch auf der Strasse vor dem Steakhouse den Vortritt haben,

Petra und Reto

Comments

One Response to “Nomadenleben”
  1. Doris & Hansruedi Tresch says:

    Salü Petra, wir gratulieren dir ganz herzlich zu deinem ganz speziellen Geburtstag in einer ganz speziellen Gegend. Eure Berichte zu lesen ist immer äusserst spannend und eure Bilder sind einfach eine Augenweide. So hoffen wir, dass ihr heute an einem ganz besonders schönen Ort seid um Petras Geburi zu feiern. HAPPY BIRTHDAY aus dem nebligen, kalten, Ottenhusen !!!!! Doris, Hansruedi, Colin und Steven

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