Oct
8

2012

Hoch hinaus


Eigentlich fängt diese Story mit einem Tiefpunkt an: Beim Veloservice im Guesthouse schaut Reto amusiert zu, wie die Leintücher im dreckigen Springbrunnen gewaschen werden und wickelt dabei glatt seinen Finger zwischen Umwerfer und Ritzel rein. Und das gerade mal einen Tag nachdem die beiden deutschen Ärzte Judith und Philipp abgereist sind. Mit Stripes und Tape kleben wir die doppelt gepiercte Fingerkuppe zwar erfolgreich wieder zusammen, aber danach ist uns beiden schlecht.

Mit einer unerträglichen Langsamkeit lassen wir Padum schliesslich hinter uns. Der Strassenbelag erinnert an übles Kopfsteinpflaster, der Gegenwind ist stark und die dünne Luft bringt unseren Kreislauf an seine Grenzen. Nach zwei Tagen à 5…10 km/h kommen wir dann trotzdem auf dem 4‘500 m hohen Pass an und ahnen, dass sich ein dicker Schneeberg in den Wolken verbirgt, die sich über einem langen Gletscher tummeln. In der Hoffnung einen Blick auf ihn zu erhaschen verbringen wir eine eisig kalte Nacht da oben… und werden belohnt: Beim Frühstück ist Show Time!

Stark übergewichtige Murmeltiere wobbeln über saftige Wiesen, während wir vor den 7‘000-ern Nun und Kun unser Zelt aufbauen. Noch ist der Vorhang geschlossen, aber diesmal geht die Vorstellung beim Nachtessen los…

Auch das Wasser Filtern macht in letzter Zeit wieder viel mehr Spass, denn das Ansaugventil war unter Druck des Filters abgebrochen und ist ins Nirvana geflogen. Seit es Reto in rund 4-stündiger Arbeit mit Hilfe von drei Kabelbindern, Duct Tape, einer Petflasche, einem Kondom (!) und etwas Nahtdichter geflickt hat, freuen wir uns wieder über jeden Tropfen der da raus kommt.

Der Islam ist auch in Zanskar recht weit verbreitet. Wir sind deshalb überrascht, dass wir uns auf einmal in einer völlig anderen Welt befinden, die ebenso gut im marokkanischen Atlas liegen könnte. Einzig die Hallo-Rufe kommen uns hier herzlicher und so manches Lachen und Winken freundlicher vor.

Auch hier erinnern mich so einige Szenen aus dem Dorfleben an irgendwelche Gotthelf-Bücher und ich frage mich ob auch in der Schweiz das Getreide irgendwann mal mit der Sichel geschnitten wurde. Unzählige Gersten-Bündel liegen auf Hausdächern und Feldern zum Trocknen aus, jeder einzelne liebevoll mit einem Halm zusammengebunden.

Kargil ist die mit Abstand dunkelste Stadt, die wir je gesehen haben. Bereits am frühen Abend scheint alles geschlossen zu sein und nur ein paar Gestalten tappen im Schein einer Taschenlampe durch die unheimlichen Gassen. Erst am nächsten Abend stellen wir fest, dass einfach gerade Stromausfall herrscht und so manches dunkles Restaurant oder Geschäft gar nicht geschlossen ist, sondern auch bei Kerzenlicht bestens funktioniert. Dieser Zustand scheint jedoch häufiger vorzukommen – in unserem Fall an zwei von zwei Abenden. Bei Tageslicht oder Strom handelt es sich aber um ein lebendiges Städchen mit hilfsbereiten und überaus ehrlichen Bewohnern.

Die buddhistische Welt heisst uns dann mit einer Steinstatue und einer Durchfallattacke meinerseits willkommen. Zweiteres beendet unseren Velotag frühzeitig und so kommt es, dass wir am folgenden Tag gleich zwei Pässe auf dem Programm haben. Sie sind von faszinierenden Mondlandschaften, langen Militärkonvois und viel Staub geprägt.

In Lamayuru treffen wir nicht nur auf ein malerisches Kloster, sondern per Zufall auch auf unsere beiden Deutschen Freunde Judith und Philipp, die soeben völlig ausgehungert ihren Trekk beendet haben. Die Freude ist gross, denn ab und zu ist es eben schon echt schön ein paar bekannte Gesichter zu sehen und ein bisschen über den üblichen Reise-Small-Talk hinaus zu kommen.

In höhenbedingtem Schneckentempo kriechen wir den Hügel zum Thikse-Kloster hinauf. Tröstlich ist einzig, dass auch die Lastwagen nicht viel schneller kriechen als wir und Reto kann es deshalb nicht sein lassen und hängt hinten an einem dieser Monster an. Die Fahrer scheint dies überhaupt nicht zu stören. Im Gegenteil: Sie halten sogar extra an, dass auch ich anhängen kann 😀 . So sind die letzten hundert Höhenmeter natürlich locker bewältigt.

Leh erscheint uns dann wie ein kleines Paradies auf Erden. Dinge wie Aprikosenkuchen, heisse Dusche und Pizza gibt es hier – wir schweben im siebten Himmel…

In den Ferien der Ferien machen wir dann ein vier-tägiges Bergtürchen auf den 6‘150m hohen Stok Kangri. Dies ist zwar kein schwieriger Berg aber immerhin unser allererster Sechstausender. “Wir” sind in diesem Fall nicht nur Reto und ich sondern auch Judith und Philipp, die wir auf dem Zanskar-Trekk kennengelernt hatten und Fred, ein Franzose, der ein Stück mit den beiden getrekkt war.

Bei der Suche nach Ausrüstung und Guide wird uns schnell klar, dass es viel einfacher und auch nicht viel teurer ist, die Standard-all-inclusive-Variante zu buchen. Zu unserem Aufgabenbereich gehören deshalb lediglich Essen, Schlafen, Kartenspielen und hinter dem Guide her spazieren. Es ist natürlich verlockend das Planen, Einkaufen, Organisieren, Kochen und Orientieren für einmal jemand anderem zu überlassen. Was wir dabei aber übersehen ist, dass es durchaus auch etwas stressig sein kann die Sache nicht selbst im Griff zu haben. Schlussendlich erfährt der Guide dann auch erst am Abend vor der Tour von seinem neuen Auftrag und der Koch ist genauso inexistent wie der Hilfsguide und die Trekkingstöcke. In der letzten Nacht laufen dann auch noch die Packpferde davon und wir hoffen inständig, dass sie unterdessen entweder vom rund 70-jährigen, halb-blinden Pferdetreiber oder seinem schwer alkoholsüchtigen Sohn gefunden wurden. Das Improvisations- und Kochtalent von Shinge, unserem Guide, macht diese kleinen Patzer aber lange wieder wett!

Der Gipfeltag wird dann doch noch etwas anstrengend: Bereits um ein Uhr morgens marschieren wir in die eiskalte Nacht hinaus. Nach ein paar Stunden überqueren wir einen Gletscher um dann im Z-e-i-t-l-u-p-e-n-t-e-m-p-o gefühlte tausend Kehren hinauf zu zotteln.

              

Auf den letzten zweihundert Höhenmetern gibt es dann auch noch ein paar etwas ausgesetzte Stellen und einfache Kraxeleien. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass ich meine Veloschuhe an den Füssen habe und nicht die fünf Nummern zu grossen, steinalten Schalenschuhe, die sie mir im Tour-Office andrehen wollten.

Unterdessen bin ich trotz Zeitlupentempo heftig am Keuchen und Reto jammert etwas von Durchfall und Klettergurt… und dann stehen wir auf einmal ganz oben und sehen herunter auf die Zanskar- und Ladakh-Range, auf Leh und das Stok-Massiv und irgendwo in der Ferne soll sogar der K2 zu erkennen sein.

Schade nur, dass Judith wegen Atemnot umkehren musste und Fred unterhalb des Gipfelgrates auf uns wartet. Nachdem die obligaten Fotos geschossen sind und Shinge seine Gipfel-Zigarette geraucht hat, machen wir uns deshalb bereits wieder auf den Abstieg und sind gute 12 Stunden nach unserem Aufbruch zurück im Basecamp.

Liebe Grüsse, auch von unserem Laptop, der hier in the middle of nowhere grade vorschlägt “plug in or find another powersource” – Witzbold!

Petra und Reto

 

 

Comments

9 Responses to “Hoch hinaus”
  1. kik says:

    Herzlichen Dank für den tollen Bericht und die faszinierenden Fotos. Sie haben mir den Heimweg von der Arbeit versüsst. Weiter so!

  2. Ela says:

    Ich finds einfach immer wieder wahn-sinnig (spannend, unglaublich, erschreckend, faszinierend, …) von euch zu lesen! Ihr habt ja auf jeden Fall genug Lebens-Power 😉

  3. Cécile Bründler says:

    Folgerichtig die Entwicklung meiner Tochter: Lack-Schüeli für den Familienevent werden glatt verweigert – Highheels existieren nur in der Diplomzeitungsglosse ihrer fantasiebegabten Studienkollegen – gespaltene Sohlen an der Diplomfeier: “Wo ist das Problem? Sieht doch keiner!” – Der gutgemeinte Geschenkgutschein für ein paar anständige….wird zum Kauf von neuen Veloschuhen eingesetzt – und die stehen nun oben auf einem Sechstausender im fernen Himalaya…
    Auszug aus dem Tagebuch einer Mutter, die mal leicht besorgt auf das Tun uns Lassen ihrer geliebten Tochter blickt, mal freudig die Höhepunkte ihres Lebens beklatscht

  4. Sylvia says:

    Ha mi wieder chönne verwile mit läse und Fotos luege — ha ja jetze Zyt!!!
    Woni ha gseh, wie chalt dass Dir heit ka, bini mit mim Friere grad zfride. ( die neui Türe wird montiert,drum hani hüt Tag der offenen Tür!)

    Merci für Eui Brichte, sie si interessant und Spannend wie e Krimi und es tschuderet mi
    mängisch derbi.
    Wünsche Euch witerhin e gueti Reis mit vile Erläbnis, wenig Durchfall und keiner Verschnitte—-
    meh.
    Häbet Sorg liebi Grüess us der Villa Dürzug

  5. sascha says:

    wau wau wau wau….. gratuliere zu eurem 6000er….. die aussicht sieht grandios aus….. will auch 😉

  6. Sylvia says:

    Liebe Grüße aus Köln von Ralf & Sylvia
    Hoffen ihr kommt wie gewollt voran und habt euch den Milchreis schmecken lassen 😉
    Viel Spaß!

  7. Andrea says:

    wow – ich bin sprachlos

  8. Bounty says:

    I chami de Vorschriber nur aaschliesse: es isch dr Wahn 🙂 Danke für z’Teilha a öine Erläbnis! So chame für es paar Minute vom Alltag (oder so) abschalte u wiit wäg schweife…
    Gniessets witerhin u häbet Sorg zunenand!
    Liebi u sunnigi Herbscht-Grüess
    Bounty 🙂

    PS: Mir gfallt übrigens dr Comment vo Petras Mami… 😉 I hätts genau gliich wie du, Petra!

  9. Irène says:

    Hey tschese zäme! Wollte mich schon uuulange für eure megalässige zweiteilige Foto-Karte bedanken! han suuupi freud gha – vor allem als ich das Rahel-Teil auch noch zu Gesicht bekam! :-))
    Nur noch 2x schlafen und wir sind auch wieder unterwegs von Kunming (China) nach Vientiane (Laos). yyyeeeep! freuuu! wünsche euch weiterhin eine superlässige unvergessliche Hammerzeit! gnüssids! Liäbä Gruess Irène

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